Urteil des Verwaltungsgerichtshofs: Söder-Ausgangssperre rechtswidrig

Wolfgang Kubicki geht auf Markus Söder los +++ „Grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien missachtet“ +++ „Anmaßung und Überheblichkeit“

Im März 2020 erließ Bayern eine Ausgangssperre wegen der Ausbreitung der Corona-Pandemie

Im März 2020 erließ Bayern eine Ausgangssperre wegen der Ausbreitung der Corona-Pandemie

Foto: Robert Gongoll
Von: OLIVER GROTHMANN und Emily Engels

München – Die Ausgangssperre in Bayern war rechtswidrig!

Das haben jetzt drei Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof so entschieden (Aktenzeichen: 20 N 20.767). Wörtlich heißt es in dem 31 Seiten dicken Urteil: „Es wird festgestellt, dass § 4 Abs. 2 und 3 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmeverordnung vom 27. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 158), zuletzt geändert durch § 1 der Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 31. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 162) unwirksam war".

Das Gericht folgte also größtenteils der Argumentation der zwei Kläger, die sich unter anderem auch darauf beriefen, dass die Ausgangssperre ein schwerwiegender Eingriff in die Freiheitsrechte sei – mildere Mittel hätten zur Verfügung gestanden, um das Infektionsgeschehen zu verlangsamen.

Die Richter bemängelten, dass damals Einzelpersonen ohne besonderen Grund nicht ihre Wohnung verlassen durften. „Da hat der Senat gesagt, aus infektiologischer Sicht waren diese Personen nicht gefährdet“, erklärt VGH-Sprecher Andreas Spiegel.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki geht auf Markus Söder los

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki geht auf Markus Söder los

Foto: Niels Starnick / BILD

Kubicki kritisiert MP Söder

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (69) geht auf Ministerpräsident Markus Söder los: „Eine erste Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes zeigt, dass Ministerpräsident Markus Söder aus dem 'Team Vorsicht‘ grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien missachtet und gegen das Übermaßverbot verstoßen hat“, schreibt er auf Facebook.

Die Anmaßung und Überheblichkeit, mit der der bayerische Ministerpräsident ständig seine coronapolitischen Vorstellungen vorgetragen habe, waren nicht nur „menschlich schwer erträglich, sondern hatten keine verfassungsrechtlich tragfähige Grundlage. Dieser Entscheidung werden mit Sicherheit noch weitere, ähnliche folgen. Die beruhigende Botschaft ist: Nicht einmal Markus Söder steht über der Verfassung. Der Rechtsstaat ist intakt.“

Die drei Richter am Verwaltungsgerichtshof bemängelten, dass damals Einzelpersonen ohne besonderen Grund nicht ihre Wohnung verlassen durften

Die drei Richter am Verwaltungsgerichtshof bemängelten, dass damals Einzelpersonen ohne besonderen Grund nicht ihre Wohnung verlassen durften

Foto: picture alliance / dpa

In der Infektionsschutzmaßnahmeverordnung war festgelegt, dass das Haus „nur bei Vorliegen triftiger Gründe“ verlassen werden durfte. Als Gründe waren dann beispielsweise die Berufsausübung, Einkäufe, Sport im Freien oder das Gassi gehen mit dem Hund definiert.

Dies fanden die Richter allerdings unverhältnismäßig, insbesondere weil Bayern über die damaligen Bund-Länder-Beschlüsse nach Ansicht des Senats zu weit hinausging.

►Im Urteil steht zum Beispiel: „In ihrer konkreten Ausgestaltung war die Ausgangsbeschränkung jedoch keine notwendige Maßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Denn der Verordnungsgeber hat den Ausnahmetatbestand der triftigen Gründe, die zum Verlassen der eigenen Wohnung berechtigen, so eng gefasst, dass die Norm im Ergebnis gegen das Übermaßverbot verstößt. Dem Verordnungsgeber steht zwar grundsätzlich auch im Rahmen des § 32 IfSG ein Rechtsetzungsermessen zu. Er unterliegt aber im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, insbesondere das Übermaßverbot, der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle".

Zwar sei den Behörden „hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen Ermessen eingeräumt". Das behördliche Ermessen sei jedoch dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter- )Verbreitung der Krankheit geboten sind.“

ABER: Darüber hinaus sei dem „Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt, d.h. die verordneten Maßnahmen müssen auch im Verhältnis zu den mit ihnen verbunden Rechtseingriffen angemessen erscheinen“.

Die Richter kritisieren weiter: Letztlich stellte sich die vorläufige Ausgangsbeschränkung in der konkreten Ausgestaltung „als unangemessen dar“. Es sei nicht ersichtlich, warum die „Gefahr der Bildung von Ansammlungen eine landesweite Ausgangsbeschränkung rechtfertigen sollte, zumal diese Gefahr lediglich an stark frequentierten Lokalitäten bestanden haben dürfte. Hier wären auch regionale und örtliche Maßnahmen das mildere Mittel gewesen. Damit war jedenfalls die Angemessenheit der Maßnahme nicht mehr gegeben.“

Außerdem sei nicht ersichtlich, warum eine Verschärfung gegenüber dem Bund-Länder-Beschluss – etwa durch den Verzicht auf eine weitere Kontaktperson – nicht ausreichend gewesen wäre, „sondern es auch einer möglicherweise nur mittelbar wirkenden Ausgangsbeschränkung für Einzelpersonen bedurft hätte“.

Was sagt die Regierung?

Söder äußerte sich zunächst nicht zu dem Urteil, auf BILD-Anfrage ließ er das Gesundheitsministerium antworten: „Die Staatsregierung wird den Beschluss genau prüfen und schließt eine Revision nicht aus.“ Die Ausgangsbeschränkungen während der Corona-Pandemie seien durch unzählige Gerichtsentscheidungen bestätigt worden. Auch die Staatsregierung sei nach wie vor der Auffassung, dass die gesetzten Beschränkungen vollumfänglich richtig waren.

Das Gericht ließ die Revision zu, weil „die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat“. Bayern hat jetzt also vier Wochen Zeit, um zu entscheiden, ob der Gerichts-Zoff tatsächlich vorm Bundesverwaltungsgericht in Leipzig weiter geht.

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